Homöopathie
Samuel Hahnemann
Ein sanfter Rebell
Die unterstrichenen Jahreszahlen führen jeweils zurück in den tabellarischen Lebenslauf.
Ein Jahr vor dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, am 10. April 1755, wurde Friedrich Christian Samuel Hahnemann in Meissen an der Elbe geboren und wuchs im verarmten, von den Kriegswirren gebeutelten Sachsen auf. Sein Vater war Porzellanmaler. Er verdiente den Lebensunterhalt für die Familie bei der ortsansässigen Porzellanmanufaktur, eine Arbeit, die zur damaligen Zeit wenig Anerkennung und nur sehr geringen Lohn einbrachte.
Hahnemanns Geburtshaus in Meissen
1767-75, Samuel, ein aufgeweckter Junge, bekam eine Freistelle an der Meissener Fürstenschule St. Afra. Er bestand seine Abschlußprüfung und erwirkte von seinem Vater die Erlaubnis, in Leipzig Medizin studieren zu dürfen. Der arme Student stürzte sich mit Wißbegier in seine Studien, und weil er sich keine Ablenkungen erlauben konnte, kam er zielstrebig voran. Er studierte 1775-1776 in Leipzig, wechselte 1777 nach Wien und beendete 1778-1779 erfolgreich seine Studien in Erlangen, wo er auch promoviert wurde. 1780 ließ Hahnemann sich als Arzt in Hettstedt nieder. 1781 absolvierte er zusätzlich eine praktische pharmazeutische Ausbildung in Dessau.
Johanne Henriette Leopoldine Küchler (1764-1830), seine erste Frau
Als 26jähriger heiratete Hahnemann 1782 seine erste Frau, die Tochter eines Apothekers aus Dessau und hatte mit ihr elf Kinder. Obgleich die Tätigkeit außerordentlich schlecht bezahlt wurde, arbeitete Hahnemann zeitweilig als Abschreiber und Übersetzer. Dies war möglich, da er die arabische, hebräische, griechische, lateinische, französische und englische Sprache in Wort und Schrift beherrschte.
Er zog durch die Lande, tat unumwunden seine Meinung kund und rebellierte auf diese Weise gegen die mißlichen Umstände der Medizin. Durch seine umfangreichen Literaturstudien wußte Hahnemann über die Medizin des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die Pharmakologie und Chemie bestens Bescheid und zeichnete sich bei seinen Übersetzungen durch kritische Bemerkungen und Kommentare getreu seinem Wahlspruch "Aude sapere" - "Wage, weise zu sein" aus.
Eingangstür des Südflügels im Innenhof des
"Sächsischen Landesgymnasiums St. Afra" in Meissen
mit Hahnemanns Wahlspruch
1789 kehrte der ruhelose Mediziner von seiner Wanderschaft nach Leipzig zurück. In der "Materia medica", dem Werk eines schottischen Pharmakologen, stieß Hahnemann 1790 auf die These, daß Chinarinde wegen ihrer magenfreundlichen Wirkung das Wechselfieber (Malaria) heilen könne. Vermutlich wegen seines Magenleidens beschloß Hahnemann, die Droge auszuprobieren und beschrieb den Selbstversuch detailliert für die Nachwelt.
"Ich nahm des Versuchs halber etliche Tage zweimal täglich jedesmal 4 Quentchen (früher deutsches Handelsgewicht = 1,67 g) gute China ein, die Füße, die Fingerspitzen und so weiter wurden mir erst kalt, ich ward matt und schläfrig, dann fing das Herz an zu klopfen, mein Puls ward hart und geschwind; eine unleidliche Ängstlichkeit, ein Zittern (aber ohne Schaudern), eine Abgeschlagenheit durch alle Glieder; dann ein Klopfen im Kopf, Röte der Wangen, Durst, kurz alle mir sonst beim Wechselfieber gewöhnlichen Symptome erschienen nacheinander; doch ohne eigentliche Fieberschauer. Auch die mir bei Wechselfieber gewöhnlichen besonders charakteristischen Symptome, die Stumpfheit der Sinne, die Art von Steifigkeit in allen Gelenken, besonders aber die taube widrige Empfindung, welche in dem Periostium über allen Knochen des ganzen Körpers ihren Sitz zu haben scheint, alle erschienen. Dieser Zustand dauerte 2 bis 3 Stunden jedesmal und erneuerte sich, wenn ich die Gabe wiederholte, sonst nicht. Ich hörte auf und ich war gesund."
Wissenshungrig erprobte Hahnemann im Laufe der Zeit mehr als 100 verschiedene Drogen und Arzneimittel, zuerst an sich selbst, später auch an seiner Frau, an den elf Kindern und an Freunden, ehe er die geprüften Arzneien bei der Behandlung seiner Patienten erfolgreich einsetzte. 1805 veröffentlichte er die Ergebnisse geprüfter Arzneimittel: "Fragmenta de viribus medicamentorum positivis in sano corpere observatis".
Das Heilprinzip der Homöopathie veröffentlichte Hahnemann erstmals im Jahre 1796 und verlangte dabei von seinen Schülern: "Macht's nach, aber macht's genau nach." Die sogenannte klassische Homöopathie legt Wert auf die Feststellung, daß die präzise Befolgung von Hahnemanns Vorschriften die einzig wahre Homöopathie sei.
Im Jahre 1810 publizierte Hahnemann sein vielbeachtetes Hauptwerk "Organon der rationellen Heilkunde" und stellte seine homöopathische Lehre ausführlich und eindrucksvoll dar. (Organon stammt aus dem Griechischen und bedeutet: Werkzeug im Sinne von Hilfsmittel.)
1811 folgte der erste und 1821 der letzte Band seiner "Reinen Arzneimittellehre". Etwa zeitgleich mit der Veröffentlichung seiner wichtigsten Thesen wurde Hahnemann im Jahre 1812 Privatdozent an der Leipziger Universität und 1819 Leibarzt des Herzogs von Köthen-Anhalt. Die ruhelose Zeit gehörte nun ebenso der Vergangenheit an wie berufliche, finanzielle und familiäre Sorgen. Hahnemann kam zu Anerkennung und Wohlstand, mußte aber den Tod seiner Frau 1830 erleben.
Melanie D'Hervilly (1802-1878), Hahnemanns zweite Frau
1835 heiratete Samuel Hahnemann ein zweites Mal und folgte seiner um fast 45 Jahre jüngeren Frau nach Paris. Dort starb er angesehen am 2. Juli 1843. Etwa 50 Jahre später fand Hahnemann auf dem Prominentenfriedhof Père Lachaise endgültig seine letzte Ruhestätte.
Samuel Hahnemanns Grabstätte auf dem Pére Lachaise
Bereits zu Hahnemanns Lebzeiten hatte das Prinzip der Homöopathie Beachtung und Anerkennung erlangt, es beschwor aber auch heftige Diskussionen herauf. Diese Auseinandersetzungen reichen bis in unsere Tage hinein. Trotz zahlreicher Anfeindungen hat sich die Homöopathie in nun über zwei Jahrhunderten unverändert erhalten und es gilt nach wie vor, was Hahnemann in seinem Organon der Heilkunst festhielt: "Wähle, um sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen, in jedem Krankheitsfall eine Arznei, welche ein ähnliches Leiden für sich erregen kann, als sie heilen soll."
Der sanfte Medizinrebell seiner Zeit ist mit seinen Theorien erstaunlich modern geblieben und seine Aussagen haben bis heute unveränderte Gültigkeit. Dafür gibt es einige sachliche Erklärungen: Hahnemann und seine Schüler gingen bei ihren umfangreichen Studien und Forschungen methodisch vor. Sie hielten die Ergebnisse mit pedantischer Genauigkeit fest, und dieser Arbeitsstil war zu damaliger Zeit unüblich. Wir zollen auch deshalb dem ersten Homöopathen für sein Engagement und seine umfangreiche Arbeit bis zum heutigen Tage unsere Hochachtung.
Neben der Forschungsarbeit kam der homöopathischen Lehre Hahnemanns Reisetätigkeit im In- und Ausland zugute. Dabei stellte er auch seine Erfahrungen bei der Bekämpfung von Typhus und Cholera unter Beweis. Die Choleraepidemie 1831 führte er bereits auf Kleinlebewesen zurück und riet bei der Behandlung zu Antiseptika.
Samuel Hahnemann setzte sich nicht nur für eine sanfte und ganzheitliche Behandlung ein, die das Selbstheilungsprinzip des Körpers - den inneren Arzt - in den Mittelpunkt der Therapie stellte, sondern er beschäftigte sich auch mit städtebaulichen Problemen und Hygienefragen. Die Homöopathie faßte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bereits in vielen anderen Ländern Fuß und wies vielbeachtete Erfolge auf. Einige davon konnte Samuel Hahnemann hochbetagt noch miterleben.
Inzwischen ist das homöopathische Prinzip weltweit verbreitet. Nationale und überregionale homöopathische Vereinigungen und Gesellschaften veröffentlichen regelmäßig Fachzeitungen, und das Prinzip "Ähnliches heilt Ähnliches" zählt bei der Behandlung von banalen Alltagsbeschwerden und chronischen Erkrankungen zu den wichtigen Therapieformen unserer Zeit. Die Begriffe Verdünnen und Potenzieren ziehen sich wie ein roter Faden durch die homöopathische Lehre und erhitzen unverändert die Gemüter.
Das zweite Prinzip der Hahnemannschen Lehre zeigte das hohe Verantwortungsbewußtsein ihres Begründers. Schon sehr früh erkannte Hahnemann, daß die Gabe der Urtinktur unterschiedliche Arzneimittelreaktionen auslöste. Es kam sowohl zur heftigen Verschlimmerung des Krankheitsbildes (Erstverschlimmerung) als auch zu nicht ausreichenden Körperantworten. Letztere traten zumeist bei Arzneien mineralischen Ursprungs auf. Diesen Erscheinungen begegnete Hahnemann, indem er die Arzneimittel verdünnte und damit die jeweilige Dosis der Arznei den individuellen Bedürfnissen seiner Patienten anpaßte. So schuf er mit Hilfe der Verdünnung Arzneien, die keine unerwünschten Nebenwirkungen zur Folge hatten und nannte diese Form der Verordnungen "Potenz", was im Sinne von Kraft zu verstehen sein sollte.
Im Jahre 1811 erwähnte Samuel Hahnemann erstmals offiziell den Begriff "Verdünnung" und sehr viel später - im Jahre 1827 - sprach er in diesem Zusammenhang vom "Potenzieren". Diese relativ späte Erwähnung der Bezeichnungen Potenz und Potenzieren zeigt, daß es sich Samuel Hahnemann nicht leicht machte und erst nach ausführlichen Prüfungen beschloß, diese Bezeichnungen zu veröffentlichen.
Samuel Hahnemann 1829
Samuel Hahnemann erkannte in der Potenzierung der Medikamente eine "Methode zur Anhebung ihrer Wirkung". Denn das Verdünnungsverfahren erschließt Möglichkeiten, dem erkrankten Organismus nur solche Heilmittel zu geben, die seinen Gesundungsprozess nicht stören und "keine Nebenwirkungen" hervorrufen. Aber genau diese Anpassung der Dosierung rief und ruft die Gegner der homöopathischen Lehre auf den Plan. Die Vertreter der Allopathie erklären, daß als Folge der Arzneimitteleinnahme bestimmte Nebenwirkungen normal seien und in Kauf genommen werden müssten. Das Wirksamkeitspotential grobstofflicher Medikamente wird sogar mit unvermeidbaren Nebenwirkungen erklärt.
Über das Wirksamkeitsprinzip seiner Lehre schrieb Samuel Hahnemann im Jahre 1839: "Homöopathische Dynamisierungen sind wahre Erweckungen in natürlichen Körpern der verborgen gelegenen arzneilichen Eigenschaften." Er sprach damit die körpereigenen Selbstheilungskräfte an und meinte mit dem "Erwecken verborgener Eigenschaften" den inneren Arzt. Das Außergewöhnliche an der homöopathischen Therapie ist, daß gerade bei einer Vielzahl von Erkrankungen die winzig kleinen Dosierungen der Heilmittel zu ganz erstaunlichen Wirkungen führen.
Denkmal von 1851 in Leipzig
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